Montag, 13. Februar 2012




LINDENBERG, Wladimir Alexandrowitsch (eigentlich: V.A. Celiscev/W.A. Tschelischtschew), * 16.(3.)5. 1902 in Moskau, † 18.3. 1997 in Berlin. - Er stammte aus einem alten Adelsgeschlecht. Sein Vater war Rosenkreuzer (hatte bei Humperndinck in Berlin Musikgeschichte studiert) und ein Familienschloß ausschließlich als Mediations- und Einweihungszentrum gebaut. Reisen mit der Mutter führten ihn nach China, Japan und Deutschland. Aus einer Verhaftung wärend der Revolutionskämpfe 1917 konnte er entkommen und reiste 1918 nach Deutschland (zunächst Remscheid) aus. 1921 bis 1927 studierte er in Bonn Medizin und praktizierte anschließend als Arzt. 1936 wurde er als Gegner des Nationalsozialismus verhaftet und 1941 aus dem KZ Neusustrum entlassen, 1945 dann beim Einmarsch der Roten Armee erneut verhaftet, konnte aber wiederum entfliehen. Er betätigte sich als Arzt für Hirnverletzte und als religiöser Schriftsteller. Umfassende Kenntnis der Religionen verbunden mit Bekenntnis zur russischen Orthodoxie und breiter Zitierung philosophischer, literarischer und religiöser Werke kennzeichnen sein Werk, mit dem er helfen wollte, hinter den Zufällen Gottes Wirklichkeit zu entdecken. Sein Hauptwirkungsgebiet lag im religiösen Bereich und einer religiös offenen orthodoxen Spiritualität. 1992 verlieh ihm der Senat der Stadt Berlin den Professoren-Titel ehrenhalber.

Erlebnis mit einem Vogel als 'Schutzengel'

(Anm.d.Erf.: Der Artikel mit dem Original-Titel 'Ein Vogel-Engel' stammt von Wladimir Lindenberg aus 'Gottes Boten unter uns', erschienen in der Zeitschrift "Wegbegleiter" vom Mai / Juni 1999, Nr. 3, IV. Jahrgang, S. 170 ff.)

Eine Werst hinter Onkel lwans Schloss lief die unendliche Wladimirskaja Chaussee. Es war eine fünfzig Meter breite, in den Urwald gehauene Schneise, ungepflastert, mit tiefen, von Pfützen bedeckten Löchern. Eine historische, eine tragische Strasse Russlands. Seit der Einverleibung Sibiriens durch Russland zur Zeit Johann des Grausamen schleppten sich politische und kriminelle Verbrecher mit zwanzigpfund-schweren Kugeln an den Füssen über diese Strasse nach Sibirien in die berüchtigten Zuchthausbergwerke. In den unermesslichen, hunderte von Kilometern weiten Wäldern hausten Wölfe, Bären, Luchse und Räuber oder auch entlaufene Zuchthäusler, die in unterirdischen Hütten im Wald ihren Unterschlupf fanden und gelegentlich Wanderer oder Pferdefuhrwerke beraubten und die Leute töteten. Alle paar Wochen gingen Nachrichten über solche Morde durch die Zeitungen.

Es war uns Kindern streng verboten, in die Nähe der Wladimirskaja Chaussee ohne Begleitung von Erwachsenen zu gehen. Aber was schmeckt süsser als die Übertretung von Verboten? Natürlich wuchsen gerade dort die schönsten und grössten Stein- und Birkenpilze, die herrlichsten Walderdbeeren, Himbeeren und Brombeeren. Und blühte nicht dort vielleicht auch die geheimnisvolle, lebenspendende blaue Blume?
Wenn wir im alten Schloss von Onkel Iwan Tarlezki zum Tee waren, zog es meine Schwester und mich unwiderstehlich zur Wladimirskaja. Unter dem Vorwand, Pilze oder Beeren im Park suchen zu gehen, bewaffneten wir uns mit einem Bastkörbchen und rannten, sobald wir aus der Sicht der Erwachsenen waren, durch den Park zur sagenumwobenen Chaussee. Im Wald, der von Unterholz und Schlingpflanzen überwuchert war, denn nie sah er die ordnende Hand eines Försters, war es unheimlich dunkel. Der von Tannennadeln und Blättern bedeckte Boden war weicher als der schönste Teppich. Man hörte keine Schritte und man erschrak, wenn man auf einen morschen Ast trat, der mit einem trockenen Laut zersplitterte.
Wera meinte, sie würde so gerne den kleinen Gnomen begegnen, die sicherlich hier im Walde wohnten; aber wenn sie unvermutet dem Leschij, dem Waldgeist, einer russischen Variante des Pan, begegnen sollte, würde sie bestimmt vor Entsetzen ohnmächtig werden. "Wenn du ohnmächtig wirst, dann lasse ich dich hier einfach liegen, denk bloss nicht, dass ich dich bis nach Staroje Girejewo schleppen werde. Also nimm dich bitte zusammen und halte nicht jeden verfaulten Baumstumpf für den Waldgeist!" Aber mir war bei den strengen Worten nicht ganz wohl zumute.
Wir blieben ziemlich dicht beieinander und pflückten die duftenden Erdbeeren, deren es eine Menge gab. Wir waren in unser Tun so vertieft, dass wir nicht merkten, dass wir immer tiefer und tiefer in den Wald eindrangen. Obwohl wir Landkinder waren, verstanden wir viel zu wenig von dem Stand der Sonne, um uns daran zu orientieren. Schliesslich fragte ich: "Weisst du eigentlich, wo jetzt die Chaussee ist, wir werden zurück zum Schloss müssen." Wera schaute erschrocken aus. "Weisst du es denn nicht?" - "Nicht genau, ich habe vergessen aufzupassen; wenn wir falsch gehen, gelangen wir immer tiefer in den Wald." Ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich Angst hatte, aber ich hatte tatsächlich Angst. "Bleib hier, ich gehe fünfzig Schritte in verschiedene Richtungen und suche die Chaussee, ich rufe dann ab und zu, damit du weisst, wo ich bin." Wera blieb widerwillig stehen.
Ich versuchte, hellere Stellen im Walde zu erspähen, aber es war überall gleichmässig gedämpftes Licht. Da hörte ich in meiner Nähe seltsame gurrende Laute. War es ein Wolf oder ein schnarchender Räuber, oder gar der schreckliche Leschij? Ich blieb wie versteinert stehen. Die Laute wiederholten sich, ich wagte kaum, mich umzuschauen. Die Laute kamen von einer bestimmten Stelle, schliesslich ging ich ihnen nach. Ich fand am Boden eine Wildtaube, deren Gefieder arg zerzaust war, offenbar hatte ein Sperber sie gegriffen. Ich nahm das arme Tier behutsam in beide Hände und hauchte es an. Das war dem Vogel unangenehm, denn er zog den Kopf ein. Nun rief ich Wera, sie möge schnell kommen. Sie kam und war ausser Atem.
"Was ist los, hast du den Weg gefunden?"
Den Weg hatte ich über dem Vogel ganz vergessen. "Nein, aber schau her, eine verwundete Wildtaube. Wenn wir sie hier liegen lassen, holt sie der Fuchs. Wir müssen sie retten und nach Hause bringen." Wera streichelte das Tier. "O, die Arme, sie darf nicht verkommen, wir wollen sie pflegen!" Aber der Vogel entschlüpfte meinen Händen und hüpfte weg. Wir stürzten ihm nach. " Er weiss nicht, dass wir ihm wohl wollen, der Dumme! " Er versteckte sich in der moosbewachsenen Spalte eines Baumstumpfes. Ich holte ihn wieder heraus und hielt ihn fest. Nach einer Weile entwand sich der Vogel wieder meinen Händen. Wieder liefen wir ihm nach, er versteckte sich wieder; als wir ihn entdeckten, hüpfte er weiter. Wie lange diese Jagd dauerte, war uns im Eifer nicht bewusst. Aber plötzlich stieg die Taube eine kleine Böschung hinauf und wir befanden uns auf der Wladimirskaja Chaussee. Vor lauter Freude über die Errettung bekreuzigten wir uns und dankten unseren Schutzengeln, dass sie uns errettet hatten, errettet durch den verwundeten Vogel. Wir fingen die Taube ein, Wera setzte sie in den Bastkorb, unbekümmert darum, dass die köstlichen Erdbeeren zerdrückt wurden. Sie deckte ihn mit ihrem Kopftuch zu.
Wir hatten es sehr eilig, nach Hause ins Weisse Haus zu kommen, denn Njanja, die heilkundig war, sollte die Taube begutachten und heilen. "Njanjuschka, du sollst unsere Taube heilen, der Sperber hat sie zerzaust, sie ist sicher noch zu retten. Schau sie dir an, wir werden sie füttern und gesundpflegen!" Njanja war böse und brummig. "Nichts werden wir tun, ich gebe sie Aleksandr und er wird sie umbringen. Was soll sich das arme Tier quälen. Fliegen kann es doch nicht mit dem ausgerenkten Flügel, und es ist ein Vogel des Waldes. Hier frisst ihn doch nur der Kater Mur, wenn er ihn erblickt! " Wir waren untröstlich. Was sollten wir tun?
"Njanjuschka, das ist kein gewöhnlicher Vogel!
Der liebe Gott hat ihn uns zur Errettung gesandt, wir dürfen ihn nicht töten, das wäre furchtbare Sünde und Undankbarkeit. Das darf nicht sein!" Wir waren dem Weinen nahe. "Was redet ihr da für Unsinn von Errettung! Ihr habt den Vogel gefunden und mitgebracht, und jetzt erfindet ihr noch eine Geschichte und nehmt Gott zum Zeugen, das dürft ihr nicht, das ist wirklich Sünde!" Was sollten wir tun? Ihr bekennen, dass wir an der Wladimirskaja waren?
"Njanjuschka, auf Ehrenwort, sie hat uns aus dem dichten Wald, in dem wir uns verirrt hatten, gerettet; wäre sie nicht gewesen, wer weiss, wo wir jetzt wären, glaub uns doch, Njanjuschka!" Njanja wurde nachdenklich. "An der Wladimirskaja seid ihr gewesen? Das ist euch doch streng verboten! Solchen Kummer bereitet ihr mir und den Eltern. Na wartet, lasst mich erst das arme Tier versorgen, dann erzähle ich es den Eltern! Das wird was geben!" Sie beugte sich umsichtig zur Taube herab und betastete ihr Gefieder. Das Tier blieb ganz ruhig. "Du liebes Gottestierchen, dich hat der böse Sperber übel zugerichtet! Na warte, wir werden dich hegen und pflegen und du wirst gesund werden, dann fliegst du wieder zu den Deinen. Und danke dir, dass du die beiden Bösen da errettet hast, verdient hätten sie es sicherlich nicht. Nur Kummer hat man mit ihnen!" Sie beschäftigte sich mit dem Vogel. "Weisst du, Njanjuschka", wollte Wera sich bei ihr einschmeicheln, "vielleicht war es doch ein Engel, der uns zu dem Ungehorsam veranlasste und uns in den Wald lockte, damit wir den Vogel fänden. Ohne uns wäre er doch verkommen!" Njanja wurde nachdenklich. Sie bekreuzigte sich und seufzte. "Unerforschlich sind Gottes Wege, auch aus dem Ungehorsam kann vielleicht etwas Gutes kommen, wer weiss. Die gute Taube hat euch errettet, und ihr habt sie errettet, und sicherlich war es Gottes Wille. Gut, dann werde ich den EItern diesmal nichts sagen. Aber ihr müsst mir versprechen, nie wieder dorthin zu gehen!" - "Wir versprechen es, Njanjuschka!", riefen wir erleichtert und umarmten sie stürmisch. Wera schaute mich bedeutungsvoll an. Später fand ich das Wort des Meister Ekkehart, und jene kleine Begebenheit mit der Wildtaube stand lebhaft vor meinen Augen:
"Wäre ich allein in der Wüste, wo mir gruselte, und hätte ich bei mir ein Kind, so verginge mir das Gruseln, und ich würde mich ermannen. So viel Adel und Lust liegt am Leben. Und könnte ich nicht ein Kind haben: hätte ich ein Tier, ich würde schon getrost sein."

Wladimir-Lindenberg-Raum im Heimatmuseum Reinickendorf

Wladimir Lindenberg, im zaristischen Russland 1902 geboren und aufgewachsen, war Arzt, Philosoph, Künstler und Schriftsteller. Er lebte von 1944 bis zu seinem Tod im Jahr 1997 in Heiligensee. Schon in den 1940er Jahren behandelte Lindenberg erfolgreich mit alternativen Methoden. Sein Ruf als Arzt zog Patienten aus ganz Deutschland an. In seinen Vorträgen beschäftigte er sich mit medizinischen und philosophischen Themen.

2004 kam ein Teil des Nachlasses von Wladimir Lindenberg in das Heimatmuseum: Bücher, die von ihm gestickten Wandteppiche, Fotos, Möbel und kleine Objekte. Durch den jahrelangen Leerstand des Hauses, war das Inventar in einem sehr schlechten Zustand. Mit Hilfe der Wladimir-Lindenberg-Gesellschaft konnte eine Dekontaminierung der Bücher und Restaurierung der Textilarbeiten und Fotos durchgeführt werden.

Der Raum stellt das Arbeitszimmer Lindenbergs mit Schreibtisch, Bücher- und Sitzecke nach, wo er seine Patienten empfing.





DAS HEIMATMUSEUM HAT JETZT EIN WLADIMIR-LINDENBERG-ZIMMER
Philosoph, Arzt, Schriftsteller

Von Uwe Aulich

REINICKENDORF. Mit einem neuen Raum im Heimatmuseum erinnert der Bezirk an den Philosophen, Arzt und Schriftsteller Wladimir Lindenberg (1902-1997). Der Raum wurde wie das frühere Arbeitszimmer Lindenbergs eingerichtet: mit vielen Bücherregalen, seinem Schreibtisch, zwei Sesseln und zahlreichen Gegenständen wie einem Filzraben, der auf einem Holzbalken sitzt. Der in Moskau geborene Lindenberg kam 1944 nach Heiligensee, nachdem er in den 30er-Jahren an der klinischen Psychiatrie in Bonn tätig war. In Berlin arbeitete er als Neurologe und Psychiater. Er wurde über die Stadt hinaus als Arzt bekannt, weil er oft auch aussichtslosen Fällen helfen konnte. Lindenberg pflegte engen Kontakt zu Künstlern und Mitgliedern des russischen und deutschen Adels. Die Einrichtung des Lindenberg-Zimmers wurde durch eine Schenkung sowie die Unterstützung durch die Wladimir-Lindenberg-Gesellschaft möglich. Allerdings waren die Ausstellungsstücke in einem sehr schlechten Zustand, weil das Holzhaus Lindenbergs seit dessen Tod fünf Jahre lang nicht genutzt wurde, berichtet Janina Ehler vom Heimatmuseum. "Viele Bücher, Wandbehänge und Fotos waren verschimmelt. Sie mussten aufwändig restauriert werden", sagt sie. Lindenbergs künstlerische Arbeiten entstanden bereits Mitte der 20er-Jahre. Dazu gehören auch Zeichnungen, Malereien und Stickereien mit zumeist biblischen The-men. Drei großformatige Wandbehänge mit den Titeln "Jesus am Ölberg", "Die Kreuzigung" und "Der ungläubige Thomas" hängen jetzt im Wladimir-Lindenberg-Raum im Heimatmuseum.

Zu Gast bei Wladimir Lindenberg

Riten und Stufen der Einweihung



Wladimir Lindenberg behandelt hier ein Thema, mit dem der Mensch in allen Zeiten konfrontiert worden ist: Den evolutionären Weg des Menschen vom unartikulierten Tier zum Heiligen, zum Engel, zu der letzten und endlichen Verschmelzung mit dem kosmischen All, mit Gott. Mit profunder Kenntnis der Religionen und Mysterien der Welt zeigt Lindenberg Einflüsse und Verbindungswege zwischen den vielfältigsten Kulturen auf. So entsteht hier ein über Jahrtausende sich erstreckender Überblick. Gott tritt uns unter ungezählten Aspekten und Namen entgegen: Ein Steinzeitmensch erlebt ihn mit anderen Sinnen als der Mensch der Antike oder der des Mittelalters oder der Aufklärung. Ein großartiger Überblick über die esoterischen Strömungen der Religionen der Welt, der auch nicht vergißt, in geeigneter Form auf den Eingeweihten des 20. Jahrhunderts, Rudolf Steiner, hinzuweisen.In frühen Zeiten war der Prozeß der Einweihung an bestimmte Riten gebunden. Es gab Geheimlehren, die für Profane nicht zugänglich waren. Die Riten der Einweihung vollzogen sich oft im dunklen Schoß der Erde: in den unterirdischen Gewölben der ägyptischen Tempel, in den Höhlen von Eleusis, in den Katakomben und Krypten der romanischen Kirchen. Unser Zeitalter hat die Mauern, in die das Geheimnis verbannt war, gesprengt Die heiligen Schriften, die versiegelten und verschlüsselten Bücher liegen jedem offen, der den Mut hat, in ihnen zu lesen. Wir neigen heute sehr zum Entmythologisieren doch das bedeutet nicht, daß wir die Ehrfurcht vor dem Mythos verlieren. Wer dem Wunder des Mythos begegnet, wird selbst von diesem Wunder erfüllt und erfährt, daß es ohne den Mythos in uns kein sinnerfülltes Leben gibt.

Tiere offenbaren ihre Seele



Viele sprechen – meist mit recht fadenscheinigen Argumenten – Tieren eine Seele ab. Doch jeder, der mit ihnen zusammenlebt, weiß, dass sie beseelte Geschöpfe sind.

Der Dichter und Arzt Wladimir Lindenberg, der zeit seines Lebens eine sehr enge Beziehung zu Tieren gehabt hat, erzählt von seinen Begegnungen mit Freunden aus dem Tierreich, die ihm Einblick in ihre Seele gewährt haben.

Erfahren Sie die Botschaften der Tiere, um sie als das zu erkennen, was sie sind: unsere “besten Freunde” – beseelt wie wir.

Mysterium der Begegnung



Lindenberg weist in seinem Werk auf etwas hin, das uns ständig geschieht, das wir aber im Trubel unseres Berufs- und Gesellschaftslebens meist vergessen: die Begegnung. Wo der Funke zündet, ist die Begegnung ein Geheimnis. Von diesem Mysterium berichtet Lindenberg aus seiner Erfahrung als Arzt, als Mensch, als in der östlichen Religion fundierter Christ.